Dann musste es schnell gehen. Der Zug war da und die Schaffnerin ließ sich durch den emotionalen Abschied nicht erweichen und drängte auf schnelles Einsteigen. Kaum waren alle Koffer in den Zug gehievt, schlossen sich die Türen und der Zug setzte sich Bewegung. Die Kinder rannten noch ein paar Meter mit und blieben dann ernüchtert stehen. Vorbei. 4 Wochen hatte man miteinander verbracht und so schnell gibt es kein Wiedersehen. Selbst uns Erwachsenen wurde anders und so ging man merklich ruhiger heim, um sich auszuruhen.
Mittwoch, 27.03.
Erwartungen
Hoffentlich ein schöner und unvergesslicher letzter Tag zusammen hier in Deutschland. Trockenes Wetter und gute Zusammenarbeit wären aber auch nicht schlecht.
Erlebnisse
Der Tag ging für mich und Begimai ganz entspannt los. Wir standen um 7:30 Uhr auf und machten uns langsam fertig für die Schule. Beim Frühstück war die Stimmung irgendwie bedrückend, da wir beide wussten, dass es heute der letzte Tag wird und wir uns danach erstmal für lange Zeit, wenn nicht sogar nie mehr wieder sehen würden.
Um 8:43 Uhr fuhr unser Bus, ein paar Haltestellen später stiegen Laura und Erqayim hinzu und wir fuhren gemeinsam weiter zur Schule. Gerade noch rechtzeitig angekommen, legten wir auch direkt los. Zuerst wollten wir unsere Ergebnisse zusammenfassen, dann den Austausch auswerten und schließlich galt es noch eine kleine Abschlussfeier zu organisieren. Im besten Fall würde uns der enge Zeitplan von traurigen Gedanken abhalten. Herr Schünzel hatte bereits vor einer Woche die Idee einer Ausstellung vor dem Lehrerzimmer vorgestellt, jetzt ging es an die Umsetzung, denn pünktlich an unserem letzten Tag kamen die dafür nötigen Klemmschienen. Unsere Lehrer schwörten uns noch einmal ein und dann ging es wirklich an jeder Ecke des Raumes voran. Jeder Schüler hatte sich ein eigenes Thema gesucht und bereitete die Aspekte auf, mit denen wir uns während unserer vier Austauschwochen beschäftigt hatten. Es brauchte Plakate über unsere Gruppe, über Migration allgemein, zu wichtigen Fragen zur kirgisischen Situation und natürlich auch zu den Themenblöcken unseres Projektes in Bremen. Unsere Kirgisen hatten uns beim sauberen Schreiben und Gestalten einiges voraus, wir hingegen halfen beim Formulieren und Zusammenfassen der Gedanken, unsere Lehrer überprüften, hinterfragten, korrigierten, bearbeiteten Bilder oder bohrten Löcher in die Plakatschienen. Ein emsiges Tun, den jeder wollte heute die Projektarbeit abschließen. Kurz vor 12 Uhr war aber erstmal Pause angesagt. Frau Schmidt rief zum Essen und wir schlenderten alle nach und nach in die Schulmensa. Fertig gespeist und wieder mit voller Motivation machten wir die letzten Handgriffe. Das Ergebnis gefiel mir sehr und ich freute mich darauf, schließlich die fertige Ausstellung zu sehen.
Jetzt teilten wir uns jedoch erst einmal auf. Wir als deutsche Gruppe zogen uns mit Herrn Heuzeroth nach draußen zurück, um unsere Austauscherfahrungen und Erlebnisse auszuwerten. Die Kirgisen taten das Gleiche mit Frau Schmidt. So ergab sich die Möglichkeit auch einmal Kritik an den Gästen bzw. Gastgebern zu äußern, die dann die jeweiligen Lehrer in ihre Gruppe mitnehmen konnten. Natürlich überwogen die positiven Gedanken und Worte, aber es wurde auch deutlich, dass ein internationaler Schüleraustausch auch kulturelle Missverständnisse und Differenzen erzeugt. Schmatzen und Rülpsen ist bei uns unhöflich, bei den Kirgisen jedoch selbst verdecktes Naseschnäuzen. Dass die Kirgisen auf ein homosexuelles Paar teils mit offener Ablehnung reagierten, enttäuschte uns auch, schließlich hatten wir auch Respekt vor ihrem traditionelleren Leben. Meine Mitschüler und ich waren uns aber einig, dass wir durch den Austausch alle sehr viel offener und interessierter für fremde Kulturen geworden sind. Ich glaube, die Kirgisen denken ähnlich und vielleicht sind wir dann auch bereits auf dem richtigen Weg zu mehr Toleranz. Nach dieser mündlichen Gruppenphase werteten wir den Austausch noch einmal jeder für sich schriftlich aus, wobei es hier vor allem um die Arbeit der Lehrer und Organisatoren ging.
Gegen Zwei war dann die dritte Phase eingeläutet: der Abschlussabend. Wir Jungs besorgten mit Herrn Heuzeroth das Grillfleisch und die Getränke, Frau Schmidt bereitete mit einigen den Raum vor und Herr Schünzel gestaltete mit dem Rest die Ausstellung. Mit einem Einkaufswagen voller Würstchen und Steaks und dazu noch einem Wagen beladen mit Getränkekisten kamen wir in die Schule zurück. Jetzt gab es jedoch ein unnötiges Missverständnis in der Planung zwischen uns Schülern. Eigentlich war nicht vorgesehen, noch einmal in die Stadt zu fahren, aber die Kirgisen wollten unbedingt noch ein letztes Mal, sogar so dringend, das manche von ihnen vergaßen, ihren deutschen Partnern Bescheid zu sagen, sodass manche von uns ihre Austauschpartner suchen mussten. Irgendwie wurde auch dieses Problem gelöst, wir halfen bei den letzten Besorgungen, mussten die Kirgisen jedoch sehr oft zurückhalten, noch mehr zu kaufen, schließlich hatten sie nur 20 kg Gepäck bei der morgigen Reise. Aber wenn Familie, Verwandte, Bekannte, Freunde und sogar Lehrer wünschen, auch etwas aus Deutschland zu bekommen, kann ich verstehen, dass die kirgisischen Schüler niemanden enttäuschen wollen.
Leicht verspätet stiegen wir 17:40 in die Bahn und fuhren zu unserem Abschlussabend in die Schule zurück, es fiel zum Glück nicht auf, das wir uns verspäteten, da die Lehrer noch später kamen (aber bereits vorher schon alles vorbereitet hatten und sich lediglich einen Kaffee genehmigt hatten). Anton, Frithjof und ich bauten noch einen dritten Grill auf und dann ging es auch schon los. Die Würste und Steaks landeten auf den Grillrosten und Herr Schünzel eröffnete mit einer Danksagung an alle Organisatoren, Schüler und Eltern den Abend. Für jeden gab es eine kleine Erinnerung – unser Gruppenfoto vor dem Auswandererhaus. Das war ein schöner und sehr emotionaler Moment und das merkte man auch jedem an. Wir Schüler hatten auch noch eine kleine Siegerehrung für unsere Lehrer: in der Disziplin Rauchen siegte Frau Schmidt mit 16 Zigaretten, die Männer pafften mehr und überließen ihr das Treppchen. Natürlich bekam jeder eine Urkunde und ein Erinnerungsfoto von uns.
Jetzt stürzten sich alle auf das Büffet. Viele Eltern hatten noch Salate oder Brot mitgebracht und somit war es ein sehr abwechslungsreiches und nettes letztes Abendessen zusammen. Nebenbei wurde geschnackt und gelacht, vor allem als wir noch eine kleine Diashow zeigten. Das ein oder andere Bild brachte so manchen zum Rotwerden, andere zum Lachen. Um kurz nach 21 Uhr war der Abend zu Ende, naja zumindest für die Eltern, denn wir Schüler trafen uns nach dem Abbauen nochmal an der Bahn-Haltestelle, von wo aus wir dann gemeinsam zu mir in den Ruder Verein an die Weser fahren wollten und nochmal unter uns feiern wollten. Anton musste aber seinem Austauschpartner entgegen laufen, da der nicht wusste, wie er zur Haltestelle kam, obwohl er kurz davor meinte, er wisse das. So mussten wir eine Bahn später nehmen, die aber erst in 20 Minuten kam. Irgendwann waren wir aber doch an der Weser, solche kleinen Aufreger vergessen und feierten mit lauter Musik und guter Laune unseren letzten Abend. Ich weiß nicht mehr, von wem es kam, aber auf einmal kam der Vorschlag, man könne ja in die Weser springen. (Ende März und nachts immer eine hervorragende Idee!) Gesagt, getan. Lennart, Anton, Frithjof und ich waren sofort dabei und sprangen, nach kurzem „Posen“ vor der Kamera, gemeinsam in das kalte Wasser. so schnell wir drin waren, waren wir auch wieder draußen und rannten so schnell wir konnten unter die heißen Duschen im Verein. Wieder aufgewärmt und angezogen gesellten wir uns wieder zu den anderen. Obwohl wir alle viel Spaß hatten, mischte sich bei vielen schon das bedrückende Abschiedsgefühl hinzu und langsam graute es jedem vor dem nächsten Morgen.
Bemerkenswertes
Zu sehen, wie schnell wir doch alle so fest zusammen gewachsen sind und wie sehr der Gedanke an einen Abschied schmerzen kann.
Fazit
Zwei Wochen können sehr schnell vorbei gehen, wenn man sie mit Freunden verbringt.
Dienstag, 26.03.
Aufstehen, duschen, frühstücken. Heute durften wir es etwas langsamer angehen, denn wir trafen uns erst 9:40 Uhr am Bahnhof, um von dort zum Interview mit der Integrationsbeauftragten zu gehen. Kumars und mein Tag begann aber erstmal mit Warten. Warten auf den Bus, warten auf einen Sitzplatz, da der Bus schon randvoll mit 7. Klässlern auf dem Weg zum Focke-Museum war, warten auf die Bahn in Huckelriede. Trotzdem kamen wir pünktlich an, trafen die anderen am Eingang und gingen dann rüber zum Tivoli-Gebäude, indem wir unser Interview mit dem Referat für Integrationspolitik Bremens führten. Die Referatsleiterin selber war leider verhindert, deswegen führten wir das Interview mit Rainer Schmidt, Sevda Atik und Nazum Tosum.
Um knapp 13:00 trafen wir die andere Gruppe wieder, welche das Interview mit einem Mitglied des Bremer Rat für Integration in der Schule hatte. Herr Brandenburg, ehrenamtliches Mitglied der AG „frühkindliche und schulische Bildung“ sowie der AG „Arbeitsmarktintegration“, arbeitet eigentlich für die Firma Mondelez und fand neben seinen vielfältigen Aufgaben dennoch zeit, uns über die Idee und die Aufgaben seiner Arbeitsgruppe zu berichten. Die Vorsitzende des Rates hatte in unserem ersten Gespräch ja bereits klargestellt, dass sich der Rat prinzipiell für alle Bremer einsetzen möchte. diese Aussage musste Brandenburg für seine AG etwas relativieren, da seiner Meinung nach Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund besonderen Förderbedarf haben. Auch er hielt eine Quotenregelung für Klassen für unpraktikabel. Unsere Nachfrage zu Gründen für das ständige schlechte Abschneiden Bremens im PISA-Vergleich beantwortete er mit einer Forderung nach einer noch effektiveren Berufsorientierung und einer verbesserten Förderung der Leistungsspitze. Außerdem wäre PISA kritisch zu sehen, da Bremen statt mit anderen Bundesländern mit gleich großen Städten ähnlicher Zusammensetzung verglichen werden müsste. Das Gespräch war spannend und man hätte sicherlich noch weitersprechen können, aber die Zeit lief davon.
Nachschlag: Pressespiegel 2
Ein langes Interview, ein kurzer Artikel, wenigstens erwähnt. Man kann ja nicht alles haben. Im Pressespiegel findet man noch einen Artikel über uns aus der Nordwest Zeitung vom letzten Freitag.
Montag, 25.03.
Erwartungen
Unsere Lehrer haben uns vorgewarnt: Heute stehen viele Projektarbeiten an, vor allem werden wir noch einmal die vergangenen Tag besprechen müssen. Meine Erwartungen sind für diesen Tag eher gering, vielleicht auch weil das Wochenende so toll war.
Erlebnisse
Nach einer kurzen Nacht begann unser Wochenstart zwar etwas später als gewohnt, doch immer noch zu früh. 9 Uhr trafen wir uns in der Schule und besprachen zunächst einmal unsere Eindrücke und Erkenntnisse der letzten Tage, zunächst von Auswandererhaus und Bunker Valentin. Also wieder in die Kleingruppen, damit wir noch einmal kurz und knapp zusammentragen konnten. Es ging um die Ursachen und die Auswirkungen der jeweiligen Migration (Auswanderung und Zwangsmigration), aber auch unsere „Aha-Effekte“. Das klappte problemlos und wir klebten unsere Lernzettel an die dazugehörigen Stellen. Damit wurde auch noch einmal für alle deutlich, wie viele Menschen von diesen Wanderungsformen betroffen war und wie sehr sich manche Migrationsgründe ähneln.
Im Schullandheim hatten wir eine tolle Zeit miteinander und konnten abseits der Stadt viel Spaß mit unserer Gruppe haben. Gerade deswegen waren wir auch noch etwas müde und bot sich auch noch eine weitere Diskussion an. So schön es in der Natur war: Würden wir eigentlich gerne auf dem Land leben wollen? Was spricht dafür, was dagegen? Unser Lehrer legten zunächst einmal zwei Zettel (Stadt, Land) auf den Boden und bildeten damit eine Meinungslinie, auf der wir Schüler uns dann einsortieren sollten, wo wir lieber leben möchten. Ich dachte eigentlich, dass sich alle klar auf der Stadt-Seite positionieren, aber es gab trotzdem einige Schüler, die das Landleben vorzogen. Jetzt sollte das Thema aber vertieft werden und wir entwickelten in unseren Gruppen jeweils Pro oder Contra-Argumente für das Leben auf dem Land. Die Vorstellung und Sammlung der Argumente an der Tafel zeigte, dass für beide Positionen viele Punkte sprechen. Mehr Eigenständigkeit vs. stärkere Abhängigkeit, nachhaltigeres Leben vs. eingeschränkte Möglichkeiten, bessere Gemeinschaft vs. Einsamkeit, … Unsere Diskussion hätte noch viel länger dauern können, nur zu einem Kompromiss wären wir nicht gekommen. Es bleibt letztlich eine individuelle Entscheidung, die natürlich auch vom Alter abhängig ist. Andererseits wurde auch klar, dass sich ein Staat hier nicht rausnehmen kann und eine Schieflage verhindern müsste. Nicht alle Menschen können in Städten leben, aber dafür müssen die Bedingungen auf dem Land auch zeitgemäß sein. Zur Grundversorgung gehören dann neben Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitangeboten, medizinischer Betreuung auch ein vernünftiger Internetzugang.
Vor dem nächsten Punkt brauchten wir eine Pause, denn wir wollten uns noch einmal intensiver mit dem Thema „Binnenmigration in Deutschland“ auseinandersetzen. An zwei stummen Karten von Kirgistan und Deutschland zeichneten wir ein, wie die Migration im jeweiligen Land ausgerichtet ist. Für Kirgistan waren sich alle einig, dass der Hauptststrom nach Norden zur Hauptstadt Bischkek geht, die Wanderungsströme in Deutschland waren da schon komplexer. Viele vermuteten Bewegungen von Ost nach West, vom Land in die Stadt und in größere Zentren.
Diese Überlegungen sollten wir mit Hilfe von Diagrammen und Grafiken überprüfen. Unsere Aufgabe war nun, das Material zu sichten, 5 Grafiken auszuwählen und deren wesentliche Aussagen herauszuarbeiten. Wir stellten fest, dass die Ost-West-Wanderung von einer Nord-Süd-Wanderung abgelöst wurde, dass Menschen vor allem im Alter zwischen 20 bis 40 ihren Wohnort wechseln und hier mehr Frauen migrieren. Anhand der Daten wurde uns noch einmal bewusst, dass (Ab)Wanderung auch immer mit der Suche nach besseren Lebensbedingungen zu tun hat. Eine Statistik bewies, dass weniger Menschen eine Region verlassen, wenn sie sich dort wohlfühlen.
Nach diesem sehr intensiven und anstrengenden Vormittag hatten wir uns das Mittagessen regelrecht erarbeitet. Am Nachmittag stand „nur“ noch Kultur auf dem Programm und zusammen sind wir zum Theater … Allerdings führt uns der „Faust“ nicht ins große Goethe-Theater, sondern in den kleinen Literaturkeller, der uns 25 Personen gerade so aufnahm. Theater fast zum Anfassen, denn der Gastgeber saß in Griffweite und spielte die Figuren des „Faust“ alle selbst. Selbst die Kirgisen, die sicher wenig von der poetischen Sprache Goethes verstanden, waren begeistert von der schauspielerischen Leistung. Für mich ein unerwartetes Tageshighlight.
Als wir nach draußen traten, hatte sich das Bremer Schietwetter gerade verzogen und wir konnten noch im Viertel Luft schnappen. Die Kirgisen fuhren gemeinsam mit Samara in die Stadt zum einkaufen, während wir Deutschen Kaffee trinken gegangen sind. Um 18 Uhr trafen wir uns alle an der Domsheide und machten uns wieder auf zu Anton und Greta. Lagerfeuer, Marshmallows, Stockbrot und Livemusik riefen und beendeten den Tag.
Herausforderung
Wenn alle in unterschiedlichen Gegenden sind, ist ein Wiedersehen gar nicht so leicht. Das gilt für Deutschland und Kirgistan, aber auch für Viertel und Altstadt. Logistische Meisterleitungen waren gefragt.
Bemerkenswertes
Ein ganzes Drama alleine aufführen und alle Figuren sprechen. Wahnsinn.
Nachschlag: Pressespiegel
Der Kirgistanaustausch ist in (fast) aller Munde. Wir sichern auf unserem Blog alle Pressestimmen, derer wir habhaft werden können.