Heute zieht es uns aus Bischkek raus, wir werden ein deutsches Dorf besichtigen, ein kirgisisches Wahrzeichen besuchen, zuvor aber noch tiefer in das Leben unserer Partnerschüler eintauchen: Unterricht in der Schule 69. Schulaustausch heißt ja nicht umsonst so…
Meine Erlebnisse
In der Familie von Begimai beginnt der fünfte Tag in Bischkek damit, dass mein Wecker um kurz vor 6 klingelt. Heute gibt es zum Frühstück leckeres türkisches Brot mit Wurst und Käse, dazu noch einen Joghurt und eine Banane. Die Familie ist überaus freundlich und bietet mir immer noch mehr von dem Brot an und obwohl ich eigentlich schon satt war, hab ich es angenommen, weil es so lecker ist (und weil man diesen gastfreundlichen Kirgisen einfach kaum etwas abschlagen kann, Anm d. Red.). Nachdem wir beide fertig gegessen hatten, musste ich noch schnell meine Sachen für die Schule packen, da ich heute den kirgisischen Unterricht mitmache. Begimais Vater bringt uns mit dem Auto zur Schule, jedoch müssen wir vorher noch ihren kleinen Bruder in den Kindergarten bringen. Auf dem Weg fragt der Vater mich viele Sachen über Deutschland, zum Beispiel wie lang unser Schulweg sei oder ob wir unser Haus selber gebaut hätten. Leider kann er nur Russisch, Kirgisisch und ganz wenig Englisch, doch zum Glück spielt Begimai den Übersetzer und so können wir dann sehr gut kommunizieren. Endlich in der Schule angekommen, wünscht ihr Vater uns noch einen schönen Tag und wir sagen “Poka“, das heißt „Auf Wiedersehen“.
In der ersten Stunde hatten wir Englisch. Zusammen mit den kirgisischen Schülern sitzen Anton, Lennart, Laura, Greta, Larissa, Carlene und ich (Jasper) auf Stühlen, die viel kleiner und unangenehmer sind als die in Bremen. Irgendwie wirken die, als wären die für Grundschüler. Die Lehrerin ist aber sehr nett und integriert uns sofort in den Unterricht. Wir sprechen über die Traditionen an den kirgisischen Schulen und über die der deutschen Schulen. In Bischkek sei z.B. Kräftemessen wie „Armdrücken“ in der Pause sehr beliebt, daher forderte die Lehrerin Anton und mich auf, gegen jeden ihrer Schüler zu spielen. Auch wenn ich nicht angeben will, aber wir haben gegen jeden der Kirgisen gewonnen.
So ging die erste Stunde sehr schnell und weniger fachorientiert um, doch nach einer kurzen Pause kam direkt die zweite Stunde. Für die nächste Stunde stand Biologie auf dem Plan und zusammen mit Begimai ging ich in den Bio-Raum und ich merke sofort, dass hier ein anderer Wind weht und es auch sehr viel strenger in der Schule sein kann. Die Bio-Lehrerin erwartet sehr viel Respekt von den Schülern. Die Kirgisen stehen auf, sobald sie (und andere Lehrer) in den Raum kommt, sie sitzen die ganze Stunde über gerade und reden auf gar keinen Fall mit ihren Klassenkameraden. Völlig anders als bei uns in Bremen. Andere Schüler aus unserer Gruppe erlebten auch, dass diejenigen, die zu spät kommen, ihre verpasste Zeit stehend verbringen müssen. Diese Stunde verläuft langsam, da wir Deutschen nichts von dem verstehen, was die Lehrerin den Schülern beibringt. Begimai hat mir zwar das meiste übersetzt, aber trotzdem wusste ich am Ende nur, dass es um das Gehirn ging. Was eine Sprachbarriere alles ausmachen kann! Als die 45 Minuten Biologie endlich um waren, wollten wir schnell in die Pause, jedoch wollte die Bio-Lehrerin nun doch etwas auf uns eingehen und ein Bild mit uns. Sie freute sich anscheinend sehr über unseren Besuch, was jedoch vorher keinem von uns aufgefallen war.
Jetzt wurde durchgeschnauft. Wir hatten bereits viel erlebt und kamen jetzt mit unserer Gruppe und Lehrern zusammen. Ich fand es gut, dass wir unsere Unterrichtserfahrungen reflektieren und diskutieren konnten. Vor allem als es darum ging, welche beobachteten Dinge wir vielleicht an unserer Schule übernehmen könnten, wurde deutlich, dass wir unsere entspannte Haltung und großen Freiheiten gegenüber den Lehrern eigentlich nicht aufgeben wollen. Unser Lehrer wies daraufhin, dass es ihn schon überrasche, dass normale Umgangsformen und eine respektvolle Haltung Erwachsenen gegenüber so aus der Mode gekommen seien und er sich wünsche, dass wir manches vielleicht doch verändern und wenn es nur „Bitte“ und „Danke“ wären.
Ausgehend von einzelnen kritischen Stimme unserer Gruppe, die fanden, dass das Interview vom Vortag kein richtiges Gespräch war, klärten wir noch einmal die Bedingungen für ein gutes Gespräch und wie sich ein Interview davon unterscheidet. Wir nutzten dann auch die Gelegenheit, unsere für nächste Woche anstehenden Interviews zu durchdenken, stellten unsere Institutionen kurz vor und überlegten gemeinsam, welche Fragen sich anbieten würden.
Nach dieser wichtigen Vorarbeit war dann aber die Busfahrt nach Rotfront angesagt. Zwei kleine Busse mit jeweils 14 Plätzen holten uns ab, wir waren von dem frühen Aufstehen mittlerweile alle sehr müde, daher versuchten wir zu schlafen und hatten deshalb kaum miteinander gesprochen (und dabei dummerweise auch einige spannende Wegmarken am Straßenrand oder Horizont verpasst, Anm. d. Red.) Die Fahrt dauerte ca. 2 Stunden, also genug Zeit zum Ausruhen.
In Rotfront angekommen, trafen wir auf Wilhelm Lategahn, einen Deutschlehrer, der uns sehr anschaulich in die Geschichte vom ehemaligen “Bergtal“ einweihte, vor allem aber erklärt, wieso hier 6500km von der Heimat entfernt, ein deutsches Dorf existiert. Lategahn lebt seit mehreren Jahren in Kirgistan, unterrichtet im Ort die letzten verbliebenen Deutschen und hat ein Museum über die deutsche Minderheit in seinem haus eingerichtet. Mit viel Liebe zum Detail und voller Rücksicht auf das Sprachvermögen der Kirgisen legte er uns den Weg der deutschen Mennoniten über Ostpreußen, Russland nach Kirgistan dar. Er zeigt uns, wie es früher hier aussah und er stellte uns ein paar Möbel und Gegenstände vor, die damals in dem Dorf so üblich waren. Es dauerte lange, bis wir den Zweck des jeweiligen Dinges erkannt hatten und doch war es niemals langweilig. Im Garten konnten wir dann noch ein wahres Paradies sehen: Blick auf die Berge, Blütenpracht, eine grasende Kuh und eine absolut friedliche Natur.
Jedoch hatten wir leider nur zwei Stunden Zeit, bis wir weiter mussten. Wir wollten nämlich noch zum Turm von Burana. Einst stand hier eine prächtige und wichtige Stadt an der Seidenstraße, der Turm ist der übrig gebliebene Stumpf eines 40m hohen Minaretts, das neben einer imposanten Moschee stand. Aber natürlich wurde sich hier auch schon ein Märchen erzählt: So soll ein König diesen Turm zum Schutze seiner Tochter erbaut haben, als er erfuhr, dass sie an ihrem 18. Geburtstag sterben solle (alter Märchenklassiker, Anm. d. Red.). Doch diese Maßnahmen halfen nichts, denn als sie Weintrauben gebracht bekam, wurde die Königstochter von einer in diesen versteckten und giftigen Spinne gebissen – die Prinzessin starb (Google „Kiz kulesi Istanbul“, es finden sich gewisse Ähnlichkeiten, Anm. d. Red.).
Trotz dieses Märchens wollten alle auf diesen Turm rauf. Nach langem Einreden auf unsere Lehrerin, die zunächst Bedenken hatte, stieg auch sie auf den Turm und wurde wie wir alle mit einem fantastischen Ausblick belohnt. Bei diesem schönen Panoramablick auf die Berge machten wir natürlich jeder mit jedem mindestens ein Bild, wenn nicht sogar noch mehr. Man merkt richtig, dass langsam Freundschaften entstehen.
Danach fielen wir alle kaputt in den Bus, verschliefen die Rückfahrt (und zig viel bessere Fotomotive, Anm. d. Red.), bis wir endlich 19 Uhr wieder in Bischkek ankamen. Während ich an meinem Text schreibe, bereitet Begimai mit ihrer Mutter das Abendessen zu und nach meinem Hühnchen mit Reis werde ich einfach ins Bett fallen und schlafen.
Fazit:
Kirgistan, du machst müde – aber auf eine sehr positive Weise…