Kühe, Pferde, Berge, Täler, Jurten – in verschiedenen Ausprägungen, Mengen, Höhen, Tiefen. Zurück in der Stadt wird es nun auf andere Weise spannend – die Schüler interviewen heute hochkarätige Partnerinstitutionen.
Meine Erwartungen
Man ist nicht alle Tage zu Gast in der deutschen Botschaft und trifft die höchste deutsche Vertreterin, sodass mir (vielleicht mehr als den Schülern) etwas mulmig ist. Die Interviewanfragen erfolgten bereits vor Monaten, jetzt also sollen es die Schüler richten und uns mit ihren Fragen das nötige Wissen zur Beantwortung unserer Projektfragen akquirieren. Würde jeder Schüler gut vorbereitet kommen, würde man sich für Jogginghosen und Tennissocken schämen müssen, würden die Interviewpartner fair und offen mit uns umgehen? Meine Nerven waren merklich gespannt.
Meine Erlebnisse
Aus der Jurte raus und rein ins Hemd. Für mich standen heute zwei Interviews an – ich würde Schüler gegen Mittag zur deutschen Botschaft begleiten und am frühen Nachmittag zur ZfA. Gleichzeitig hatte eine Schülerin Geburtstag und musste mit Recht noch entsprechend bedacht werden. Doppelt und dreifacher Check, ob alles Nötige auch am Mann ist: Geburtstagskärtchen – und kerzen, Aufmerksamkeiten für unsere Interviewpartner, Improvisationsfragen, Schreibgerät und vor allem der Pass, um bis zur Botschafterin vorgelassen zu werden. Kurz vor der Schule komplettierte noch ein kleiner Schokokuchen das illustre Ensemble und man stellte bei Ankunft fest, dass sich die Nacht in der kalten Jurte offensichtlich etwas auf den Schlafrhythmus der Kinder gelegt hatte. Kleinere Verspätungen, die auf den Verkehr geschieben werden konnten, aber alle angemessen gekleidet. Sehr gut. Dann aber der erste Dämpfer: Einen Schülermagen hatte es ärger erwischt als der meinige in den Tagen zuvor und ausgerechnet die Gruppe für das Interview mit der Botschafterin reduzierte sich auf auf zwei Schüler. C´est la vie!
Nach dem standesgemäßen Geburtstagsständchen für Greta (die Gott sei Dank zu spät kam, sodass jeder in Ruhe die Karte unterschreiben konnte), ging es endlich ans Feintuning, letzte Hinweise und Mahnungen. Die Schüler steckten die Köpfe zusammen, strichen allzu geschlossene Fragen, ergänzten „provokante“ Thesen und gemeinsam einigten wir uns auf die Idee, als Vergleichsmoment drei Skalen einzuführen, auf denen sich unsere Interviewpartner positionieren sollten. Hintergrund hierbei war, damit die Arbeit der jeweiligen Institution besser nachvollziehen zu können und wiederum Diskussionsanreize zu geben. Fördert oder verhindert man Migrationsprozesse? Versucht man sie eher zu steuern oder lässt man sie unkontrolliert geschehen? Wirkt man stark oder schwach auf Migrationsprozesse in Kirgistan ein? Die Schüler arbeiteten ruhig, konzentriert und motiviert – und gaben damit ihrem Lehrer die nötige Portion Ruhe zurück.
11:30 Uhr also Termin mit der deutschen Botschafterin in Kirgistan (oder wie das Auswärtige Amt formulieren würde „Kirgisistan“) und pünktlich standen wir (ein deutscher Schüler, ein kirgisischer und ich) zur Stelle, um durch einige Sicherheitsschleusen zu ihr vorgelassen zu werden. Es folgte ein sehr offenes und informatives Gespräch mit Frau Iwersen, die sich viel Zeit für unsere Fragen nahm. Sie bestätigte an vielen Stellen die Ausführungen des IOM-Experten, die wir am vergangenen Freitag erhalten hatten und betonte darüber hinaus, dass sich Migration aus Kirgistan nach Deutschland vor allem auf junge Menschen bezieht, die in Deutschland vor allem die gute Ausbildung schätzen, danach aber oft wieder das Land verlassen und zurückkehren. Interessant darüber hinaus war das langjährige Bestehen der deutschen Botschaft in Bischkek. Bereits 1992 nahm Deutschland diplomatische Beziehungen zu Kirgistan auf, unterstützte ganz bewusst das gerade unabhängige gewordene Land und war damit bis in die 2000er Jahre die einzige europäische Ländervertretung vor Ort. An dieser Stelle spannte Botschafterin Iwersen den Bogen zu einem weiteren Punkt, den wir bereits kennengelernt hatten – den der damals noch relativ starken deutschen Minderheit, die ihre Heimat ja unter anderem in Rotfront hatten. Weitere Interviewdetails werden an anderer Stelle dieses Blogs noch veröffentlicht werden. Nach über einer Stunde angeregten Gespräches verließen wir mit guten Wünschen der Botschafterin die deutsche Vertretung (die sich sehr über unseren kleinen mitgebrachten Gruß aus Bremen freute) und während sich die beiden Schüler in die Freizeit und Aufarbeitung des Interviews ergaben, machte ich mich auf den Rückweg zur Schule, versuchte mich nicht vom wilden Verkehr überrollen zu lassen und sprang mit der nächsten Interviewgruppe ins Taxi zur ZfA.

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Aufgeteilt auf zwei Taxen ging es diesmal motorisiert über Bischkeks Straßen zum ehemaligen Arbeitgeber, der Zentralstelle für Auslandsschulwesen in Person von Rebekka Wagner, der Fachberaterin für Deutschlehrer Kirgistan. Die Interviewgruppe war zwar einiges größer als zuvor in der Botschaft und doch entstand ein lebhaftes Gespräch zu verschiedenen Fragen über Auslandsschularbeit, vor allem ihren Sinn und Zweck. Frau Wagner betonte den Wert des Perspektivwechsels aus dem deutschen Schulsystem heraus und die Möglichkeit für kleine und größere Abenteuer des Auslandslehrers. Nicht zuletzt ging es dann aber auch um die Vorteile für die Deutsch lernenden Schüler, die endlich von Muttersprachlern in die Untiefen der deutschen Grammatik eingeführt werden können. Spaß beiseite. Der Autor hat selbst erfahren, wie wichtig und erfolgreich konsequenter Unterricht in der Zielsprache ist und welche Sicherheiten versierte (!) Muttersprachler den Schülern geben können. Andererseits entspann sich gerade an dieser Qualifizierung der Schüler die Diskussion über mögliche Nachteile und die Frage, inwiefern die Auslandsschularbeit Migration noch befördert. Frau Wagner wies diesen theoretischen Vorwurf zurück und legte dar, dass alleine die Chance, ein Praktikum oder ein Studium in Deutschland aufgrund der erworbenen Sprachkenntnisse aufzunehmen, noch nicht als Förderung zu verstehen sei. Auch dieses Interview werden wir an anderer Stelle noch einmal genauer zusammenfassen. Die Schüler überreichten zum Abschied ein kleines Dankeschön und damit war der heutige Tag für mich zunächst vorbei.
Gemeinsam wertete ich diesen Tag mit meinem Gastgeberbruder aus, der mir nicht nur auf grandiose Weise Herberge bot, sondern auch sehr viel inhaltliche und konzeptionelle Hilfe leistete. Er war mit mehreren Schüler bei der GiZ und berichtete von einem ebenso freundlichen wie auch gut vorbereiteten Empfang. Die Schüler gingen dann nicht nur mit kleinen Gastgeschenken heim, sondern auch mit dem Wissen, dass die GiZ an verschiedenen Stellen Wirtschaftshilfe für Kirgistan leistet. Am interessantesten war hierbei der Ansatz der GiZ, auf die berufliche Qualifizierung der Kirgisen einzuwirken, um damit allgemein die Beschäftigungssituation zu verbessern. Sei es, indem man Schulen und Arbeitsämter stärkt, man auch Frauen in eher männertypische Arbeitsbereiche eindringen lässt und sie in Schweißen, Bauen und Sanitärtechnik einführt und auch, dass man auf eine bessere Zertifizierung schon vorhandener Qualifikationen setzt. Letzteres sei vor allem ein Problem, das den kirgisischen Arbeitsmigranten immer wieder begegnet – dass ihre Erfolge, Leistungen und Qualifikationen nicht angemessen anerkannt werden. Ein spannendes Gespräch, bei dem ich leider nicht dabei sein konnte, was aber ebenfalls noch an anderer Stelle näher dargelegt werden wird.
Der Tag ging dann zum Glück entspannt zu Ende und hatte auch einmal ein wenig Raum für individuelle Abendgestaltung. Irgendwann gegen Eins, nach erfolgter Redaktionssitzung mit mir selbst zu diesem Blog und letzten Orga-Aktivitäten, ging es dann auch ins Bett.
Bemerkenswertes
Die Offenheit unserer Interviewpartner, die sich sehr nahbar und schülerfreundlich für uns und unsere Fragen Zeit nahmen.
Die Fischbäckchen, die bei einer innerdeutschen wie auch -thüringischen Verständigung am Abend als Diskussionstreibmittel fungierten.
Dass bereits ein Zeiss-Fan vor mir in Bischkek Station machte.
Herausforderndes
Interviews so offen wie möglich zu gestalten, gleichzeitig aber die eigenen Interessen abzudecken und den Schülern vertrauen, dass ihnen genau das auch schon gelingt. Grundsätzlich funktionierte das ganz gut, wenn auch manche Formulierung der Aufregung geschuldet zu holprig kam. Aber Schwamm drüber – es musste sich ganz und gar nicht geschämt werden und das ließ mich stolz diesen Tag beenden.